Wenn im Bakkal alle lachen

In Istanbul steht am Sonntag das erste große Derby der Saison an, Besiktas trifft dann auf Galatasaray. Es ist auch das Duell der namhaften Trainer Vicente Del Bosque und Gheorge Hagi. Und es geht um die Frage: Wer fliegt zuerst?

ISTANBUL taz ■ In Istanbul ist der Bakkal mehr als nur ein Lebensmittelladen um die Ecke. Im Bakkal gibt es alles, was es zum Leben so braucht – und meistens eines gratis dazu: Geschichten. Und wenn, wie am Sonntag, das erste große Derby der Saison ansteht, dann verwandeln sich die Bakkallar in Stadien ohne Kurven, und die fußballverrückte Metropole am Bosporus kennt nur noch ein Thema: Besiktas gegen Galatasaray! Del Bosque gegen Hagi! Oder, wie es vor der Saison hieß: Del Bosque oder Hagi? Welcher der beiden Trainer mit den berühmten Namen fliegt als Erster? Klarer Favorit der Wettbüros: Gheorge Hagi. Doch nach fünf Spieltagen steht Hagis Galatasaray mit vier Siegen und nur einer Niederlage auf Platz drei.

Im März, als es nichts mehr zu verlieren gab, angetreten, schien mit dem lausbubigen Hagi zunächst alles nur noch schlimmer zu werden. Platz sechs am Ende – welch eine Schmach. „Alles wird besser“, versprach der Rumäne vor dieser Runde, der Galatasaray Spor Kulübü wird schließlich 100 Jahre alt. Notorisch in Zahlungsschwierigkeiten steckend, gelang aber wieder nicht der große Wurf auf dem Transfermarkt. Der listige Hagi ging in die vorbeugende Offensive: „Das sind nicht meine Neuzugänge.“ Was soll man auch sagen über die in der Bundesliga gescheiterten Rigobert Song und Flavio Conceicão?

Hagi aber kann immer noch dribbeln wie zu seiner aktiven Zeit. Nach den ersten Siegen meinte der „Karpaten-Maradona“ frech: „Das ist meine Mannschaft.“ Und bar jeder Bescheidenheit fügte er hinzu: „Fehlt nur noch einer wie Hagi.“ Das nahmen im vielköpfigen Präsidium einige Herrschaften wörtlich. „Hagi muss spielen!“, forderten sie. Alles soll doch bitte endlich wieder so sein wie vor vier Jahren, als Spielmacher Hagi Cimbom zum Uefa-Cup-Triumph führte. Die Presse kriegte sich vor Lachen kaum noch ein und stimmte den bizarren Forderungen der ehrsüchtigen Funktionäre gerne zu. Als Trainer sei Hagi, 39, schließlich viel zu unerfahren. Und überhaupt: Der kann’s einfach nicht, so der Tenor.

Den beleibten Vicente Del Bosque, 53, will bei Besiktas verständlicherweise niemand als Spieler sehen. Weil ihnen Lothar Matthäus erspart geblieben ist, wurde der Spanier von den Fans mit offenen Armen empfangen. Inzwischen würden sie ihn am liebsten zum Teufel jagen. Grauselig die Auftritte, jämmerlich die Ausbeute: nur ein Sieg, fünf Punkte, Platz 12. Der beste Kader seit Jahren, mit John Carew ein treffender Stürmer – Del Bosque aber findet keine Stammformation. Jede Woche schlägt ein anderes beleidigtes Würstchen dem Trainer ob seiner Ausbootung die Tür vor der Nase so fest zu, dass es Wunder nimmt, dass dessen Schnauzer noch immer so prächtig glänzt und nicht längst ganz weit aus der Stadt geweht wurde. Verzweifelt gab der schwerreiche Vereinsboss Yildirim Demirören ein neues Ziel vor: „Jetzt holen wir halt den Uefa-Cup.“ Am Donnerstag, beim norwegischen Weltklub Bodö Glimt, folgte prompt ein aufbauendes 1:1. Was also tun? „Geduld“, fordert Del Bosque stoisch: „Ich habe mit Real Madrid schließlich die Champions League gewonnen.“ Die Standardreplik der Besiktas-Fans auf dieses galaktische Zeitschinden: „Mit Real hätte sogar Hagi als Trainer alles gewonnen.“

Und dann lachen alle im Bakkal, die Anhänger von Besiktas und die von Galatasaray. Am lautesten aber lachen bei dieser Istanbul-Soap die Fans von Fenerbahce, dem Rivalen von der asiatischen Seite. Fener gewann am Mittwoch gegen Sparta Prag – in der Champions-League.

TOBIAS SCHÄCHTER